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01.03.2016

„Entstresster“ Umgang

Vor einiger Zeit war ich zum „Weißen Dinner“ bei einer Freundin in Hamburg eingeladen. Es war ein wunderschöner Spätsommerabend. In der Straße, in der das „Weiße Dinner“ stattfinden sollte, stellten Anwohner und Nicht-Anwohner Tische und Stühle auf, um gemeinsam zu essen. Voraussetzung war es, weiße Kleidung zu tragen und den Tisch weiß einzudecken. Bei meinem Eintreffen dort musste ich feststellen, dass ich „eine Kleinigkeit“ missverstanden hatte. Denn ich hatte verstanden, jeder sollte auch „weißes“ Essen mitbringen. Entsprechend hatte ich Sahnepudding, Krabbenchips und weißen Tee dabei. Meine Tischnachbarn schmunzelten über dieses Missverständnis. Zu viert nahmen wir Platz und begannen mit vielen Hundert Menschen zu essen. Immer wieder wurde mit weißen Servierten gewedelt. Man könnte sprichwörtlich sagen, es herrschte ein kaum buntes, sondern vielmehr weißes Treiben. Die Farbe Weiß erhielt auf einmal eine ganz besondere Note, Leute waren in Weiß gekleidet, edel und schlicht, sommerlich und leicht.

Farbspektrum der chronischen Hauterkrankungen

Betrachtet man die Bandbreite chronischer Hauterkrankungen heute, so kennzeichnet jede den Betroffenen auf ihre Art; bei der Hauterkrankung Rosazea rote Farbe, eine wiederum andere Rötung bei Neurodermitis und weisse, depigmentierte Hautfarbe bei Vitiligo. Die Betroffenen erleben ihre Hauterkrankung bei erstmaligem Erscheinen in der Regel als Bedrohung. Ihr gesundes Hauterleben erleben sie als auf Dauer bedroht und meist als der Vergangenheit angehörig. Sie wünschen sich nichts mehr als ihre gesunde Haut zurück, verständlicherweise.

Stresserleben

Eine chronische Hauterkrankung stellt gerade beim ersten Erscheinen zunächst einmal einen Reiz oder Stressor dar. Sehen wir den Reiz erst einmal möglichst „neutral“ an. Es zeigt sich eine Veränderung im Hautbild. Der Betroffene erlebt diese Veränderung an sich und seiner Haut. Er kann nun unterschiedlich bewerten. Selten wird man erleben, dass jemand reagiert wie z.B. mit dem Spruch: „Ach ja, meine Haut verändert sich halt.“ Diese neutrale Bewertung hat kaum eine negative Stressreaktion, sog. Distress, zur Folge. Kaum jemand wird die Hautveränderung als positive Veränderung bewerten. Infolge wird kaum jemand eine Herausforderung oder positiven Stress, sog. Eustress, erleben.  
In den meisten Fällen ist der Betroffene im sprichwörtlichen Sinne betroffen und macht sich Sorgen über seine veränderte Haut und darüber, welche gesundheitlichen Folgen es haben könnte. Es entsteht negativer Stress, sog. Distress. In diese Bewertung fließt jedoch nicht nur die subjektive Einschätzung mit ein, in wieweit man den Reiz als bedrohend erlebt, sondern auch, wie man seine eigenen Bewältigungsstrategien einschätzt. Es findet also eine zweite Bewertung statt. Man fragt sich, welche Ressourcen man zur Verfügung hat, um mit der neuen Situation umzugehen. Erlebt man die Situation als Überforderung, so schätzt man seine Bewältigungs- oder Copingstrategien als zu gering ein, um einigermaßen gut mit der neuen Situation umgehen zu können. Grundsätzlich strebt man danach, sich an die neue Situation anzupassen. Man sucht nach einem mehr oder minder gut erträglichem Zustand. Umgangssprachlich könnte man sagen, man sucht nach „Werkzeugen“, um sich anzupassen und die Situation selbst unter Kontrolle zu bekommen, um sich dann wieder den alltäglichen Herausforderungen (Arbeit, Familie, Partnerschaft, Hobbies…) widmen zu können. Man könnte auch sagen, man möchte einen Umgang mit der neuen Erkrankung finden, der nicht so viel Raum einnimmt, dass man im Alltag davon eingenommen oder eingeschränkt wird.

Sich selbst „entstressen“ lernen

Mit einer chronischen Hauterkrankung konfrontiert zu werden, stellt definitiv eine schwierige Situation dar. Aus defizit- oder problemorientierter Perspektive könnte man sagen, dass einem die eigene gesunde Haut genommen wurde. Viele Betroffene erkranken schon in der Kindheit an einer chronischen Hauterkrankung und erinnern somit so gut wie keine hautgesunde Zeit in ihrem eigenen Leben. Diese Perspektive löst negative Stressprozesse im eigenen Körper aus. Ein Teufelskreislauf beginnt. Je mehr Sorgen man sich macht, umso mehr belastet man sich selbst und sein Immunsystem. Und gerade psychoimmunologische Prozesse spielen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

Kommen wir zurück zum eingangs geschilderten Erlebnis beim „Weißen Dinner“. Wenn es einem Hautbetroffenen auch nur ansatzweise gelingen könnte, die eigene Hauterkrankung und Veränderung der Haut als etwas Neutraleres zu bewerten und entsprechend zu erleben, so würde er sich selbst weniger stressen. Natürlich kann man die Hauterkrankung nicht einfach wegzaubern, aber vielleicht kann man eine Einstellung finden, mit ihr mit der Zeit friedlicher zu leben. Viele Menschen, die Psychotherapie für sich in Anspruch nehmen, müssen selbst lernen, ihre chronische Erkrankung anzunehmen, wenn diese nicht heilbar ist. Und je früher sie dies lernen und umsetzen können, umso entspannter leben sie mit dieser Erkrankung. Natürlich sehnt man sich danach zurück, ein ganz und gar gesunder Mensch zu sein. Doch aus der entgegengesetzten Perspektive heraus wissen sie auch, dass sie an dieser Erkrankung nicht sterben werden. Der Vergleich mit Schlimmerem wird oft herangezogen. Man sagt nicht umsonst: „Schlimmer geht´s immer!“ Für das Leben mit einer chronischen Hauterkrankung jedoch würde eine Einstellung helfen wie: „Meine Hauterkrankung wird mal mehr und mal minder kommen und  gehen … Und meiner Hauterkrankung gebe ich nicht die Kraft, mein Leben, und ich habe nur dieses Leben, zu torpedieren.“

von Dipl.-Psych. Sonja Dargatz
2. Vors. Deutscher Vitiligo Verein e.V. (DVV)

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